Während manche Menschen unter Stress an Gewicht verlieren, nehmen andere sogar noch an Pfunden zu. Liegt die Erklärung dieses Phänomens etwa in der Nebennierenrinde, wo das Steroidhormon Cortisol synthetisiert wird?

Stress ist ein komplexes Phänomen und keine Erfindung der Neuzeit. Jede lebendige Zelle ist Stress ausgesetzt. Je komplexer der Organismus, desto komplexer sind auch seine adaptiven Möglichkeiten, um Stress zu balancieren. Der menschliche Körper verfügt über eine Reihe von Signalmolekülen, die infolge von Stress ausgeschüttet werden. Dieser Artikel thematisiert das Steroidhormon Cortisol, das in der Zona fascilularis der Nebennieren aus Progesteron geformt wird.

Da unser Gehirn die mit Abstand wichtigste Schaltzentrale des gesamten Organismus ist, benötigt dieses Organ gewaltige Mengen an Energie. Vor allem in Stressituationen muss unser Körper eine ausreichende Versorgung unseres Gehirns mit Energie gewährleisten. Hierzu wird mittels der HHNA (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet.

Cortisol erfüllt eine Reihe von Funktionen, die letztlich allesamt dem logistischen Unterfangen dienen, den Glucose-Bedarf unseres Gehirns zu decken. Hierzu unterbindet es den Zugriff der peripheren Zellen auf Glucose, indem das Protein GLUT4 hemmt. Dieses Protein hilft dabei, Glucose in die Zellen einzuschleusen. Außerdem zapft Cortisol die gesamten Energiereserven des Körpers an, indem es im Rahmen der Glucogenolyse sowohl Glucose als auch Glucose-1-Phosphate aus der Leber und aus der Muskuluatur abbaut. Darüber hinaus treibt Cortisol die Gluconeogenese voran, die Glucose aus bestimmten Kohlenstoffsubstraten wie z.B. Eiweißen generiert.

Cortisol exportiert darüber hinaus Kalium im Austausch für Natrium-Ionen aus den Knochen, was zu erhöhten Kalimwerten im Blut und somit einem metabolischen Schock führen kann. Weiterhin blockiert es die Aufnahme von Calcium und leistet somit auf längere Sicht einer Minderversorgung des Knochens mit Nährstoffen Vorschub, was in Osteoporose münden kann. Cortisol unterdrückt darüber hinaus verschiedene Anteile des Immunsystems, weshalb es vielfach als äußerliches oder inneres Mittel gegen Entzündungen eingesetzt wird. Gleichzeitig erhöht es die Verfügbarkeit von Kupfer. Da chronisch hohe Cortisolspiegel häufig mit niedrigen Zinkspiegeln korreliert sind, können erhöhte Kupferwerte zu vielen negativen Beeinträchtigungen führen. Außerdem inhibitiert Cortisol die Bildung von Vitamin D3, was wiederum massiv den Knochenstoffwechsel, den Hormonhaushalt und bestimmte Anteile des Immunsystems blockieren kann.

Die Ausschüttung von Cortisol unterliegt im Tagesverlauf gewissen Schwankungen, dem sogenannten “circadianen Rhythmus”, der sich überwiegend am Licht als Taktgeber orientiert. In einem engen Wechselspiel mit dem Melatonin ist Cortisol in unser Schlafverhalten involviert.

Cortisol und der Fettstoffwechsel

Cortisol hat kontroverse Effekte auf den Fettstoffwechsel. So kann es einerseits das Fettgewebe anzapfen, was zu freien Fettsäuren in den Blutbahnen zwecks Energiegewinnung führt (Lipolyse). Andererseits kann Cortisol genau gegenteilig bzw. lipogen wirken, also die Vermehrung von Fettzellen stimulieren. Bei beiden Effekten handelt es sich aus unserer Sicht um unterschiedliche Strategien, um die Energieversorgung des Gehirns zu garantieren. Während freie Fettsäuren im Blut der Energiegewinnung dienen und somit Glucose einsparen können, isolieren in Gewebe gespeicherte Fette die Wärme des Körperstammes und verringern auf diese Weise den Energiebedarf für die “Heizung”, wodurch ebenfalls mehr Glucose zur Gehirnversorgung bereitgestellt werden kann.

Möglicherweise hat sich in kälteren klimatischen Regionen der Erde vor allem der Stoffwechseltyp durchgesetzt, der auf Cortisol mit einer Speicherung von Fetten anstatt mit Untergewicht reagiert, insbesondere deshalb, weil die fettreichen Nahrungsmittel in kälteren Regionen eher ein Fettsäureprofil bereithalten, dessen Fettsäuren häufig oxidationsempfindlich auf Wärme reagieren, was in einem auf rund 37° zu beheizenden Körper zur Bildung von freien Radikalen führen kann. Eine Speicherung von Fetten im Gewebe kann diese Art der “negativen” Oxidation verhüten.

Chronischer Stress und Interaktion mit anderen Hormonen

Wie wir gesehen haben, fungiert Cortisol als ein “kataboles” Hormon, das die Energievorräte des Körpers zugunsten der Gehirnversorgung abbaut. Selbst seine lipogenen Effekte im Sinne der Körperisolierung mit Fettgewebe stehen im Dienste der Energieeinsparung. Bei chronischem Stress führt Cortisol daher zu einer starken Belastung des Körpers. Insbesondere konkurriert es – eigentlich im Dienste unseres Körpers – mit verschiedenen anderen Hormonen um die Rezeptoren in den Zellen bzw. setzt die Sensitivtät des Körpers auf diese Hormone herab. So blockiert es die Wirkung von Testosteron und Progesteron. Da Cortisol aus Progesteron geformt wird, führt eine erhöhte Synthese auf längere Sicht für sich genommen zu einem Mangel an Progesteron. Cortisol führt außerdem zur Bildung von Östrogen in der Leber, was wiederum die Hormone Testosteron und Progesteron antagonisiert.

Cortisol und Infektionen

Da Cortisol bestimmte Anteile des Immunsystems unterdrücken kann, führen erhöhte Cortisolspiegel häufig zu einer Infektanfälligkeit. Auch Besiedlungen des Körpers mit anderen pathogenen Mikroorganismen wie z.B. Candida-Hefepilzen werden häufig beschrieben und zeigen sich meist an einem weißlich-gelblichen Zungenbelag, der oft auch nach Nyostatin-Behadlung bestehen bleibt oder wiederkehrt. Auch Infektionen des Darms sind möglich. Der Schlüssel zur Regenierung kann also auch in einer Senkung des Cortisol-Spiegels liegen.

Cortisol und Schilddrüse

Rund 70% des freien Trijodthyroxins (T3) wird in der Leber aus (Tetrajod)Thyroxin (T4) geformt. T3 repräsentiert das aktivere Schilddrüsenhormon. Cortisol interferiert mit der metabolischen Rate, die durch die Schilddrüse reguliert wird, indem es als kataboles Hormon die Energiereserven des Körpers abbaut und die Gluconeogenese in der Leber initiiert, wodurch weniger Kapazitäten zur Umwandlung der Schilddrüsenhormone zur Verfügung stehen.

Desweiteren konkurriert Cortisol mit den Rezeptoren der anderen Steroidhormone, vor allem Testosteron und Progesteron. Untersuchungen mit radioaktivem Testosteron haben gezeigt, dass bei hohen Cortisolspiegeln besonders viel Testosteron im Herzmuskel akkumuliert wird, was zu der weit verbreiteten Ansicht geführt hat, dass Testosteron negative Auswirkungen auf das Herz hat. Da Cortisol die Sensititivät der Zellrezeptoren auf Testosteron reduziert, kann trotz erhöhter Testosteronwerte ein peripher “Testosteronmangel” durch eine Verwertungsstörung vorliegen. Im Allgemeinen sind kardiovaskuläre Erkrankungen auf der Basis des metabolischen Syndroms allerdings eher mit einem Testosteronmangel korreliert, der durch die periphere “Testosteronresistenz” weiter gefördert wird. Hinzu kommt, dass die Testosteronproduktion im Alter sinkt.

Bei Frauen ist unter hohen Cortisolspiegeln ein Progesteronmangel wahrscheinlich, da Cortisol einerseits aus Progesteron geformt wird und andererseits partiell an die gleichen Zell-Rezeptoren wie Progesteron bindet. Daher leiden Frauen unter Stress häufig an Menstruationsbeschwerden.